Der zweite Beitrag meiner Kolumne gilt den deutschen Fällen. Wem? Aha, Dativ! Aber nicht er ist der tragische Held dieses Artikels, sondern sein Bruder, der Akkusativ.
Auch der Akkusativ hat es schwer
Ob es am Design lag? An der Tatsache, dass der gesamte Schriftzug besser auf das Plakat passte, wenn man Grammatikregeln ignorierte und einfach zwei Buchstaben wegließ? Vielleicht hoffte man, es würde sowieso niemandem auffallen. Oder hatte der Texter schlichtweg so geschrieben, wie er offenbar spricht, und der hauseigene Lektor war verreist, krankgeschrieben oder einer Sparmaßnahme zum Opfer gefallen? Und noch eine Möglichkeit fällt mir ein: Man war so damit beschäftigt, auf einer einzigen Werbefläche gleich zwei Appelle unterzubringen, dass man den sprachlichen Aspekt nur noch stiefmütterlich behandelt hatte.
Die letzte Erklärung finde ich am plausibelsten. Denn wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass die Designabteilung wirklich gute Arbeit geleistet hat: Oben spricht man die Erwachsenen an, die Menschen mit grünem Gewissen, diejenigen, die um ihren ökologischen Fußabdruck besorgt sind und groß genug, um an die Klappe heranzureichen. Unten jedoch war noch Platz. Und so platzierte man direkt auf kindlicher Augenhöhe keine abstrakten Pfeile in grüner Farbe, sondern zwei traurig blickende Altersgenossen. „Mama, wieso ist das Kind da so traurig?” Kann Mama da etwa die Augen abwenden und keine Kleider spenden? Nein, kann sie nicht.

Da war wohl kein Platz mehr: dein statt deinen
Und auch ich konnte nicht wegsehen. Bei einem Spaziergang mit meinem Freund hatte ich dem Container einen flüchtigen Blick zugeworfen, denn er war neu aufgestellt worden und noch so sauber, dass er alleine deshalb meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Ich las: „Leiste auch du dein Beitrag für die Umwelt.” Beim Lesen ergänzte ich automatisch das fehlende -en bei „dein”, stutzte dann und las noch mal. „Dein Beitrag?”, wiederholte ich ungläubig. „DEIN Beitrag? Töten die jetzt schon den Akkusativ?” Ich war es ja gewohnt, den Genitiv täglich erneut zu Grabe tragen zu müssen, und zu einem kleinen Teil war ich sogar mitschuldig. Wer schert sich schon um den Genitiv nach „wegen”, wenn er zum Beispiel gerade mit Freunden in einem Biergarten sitzt? Eben. Und auch ich bilde da keine Ausnahme.
Jetzt können Sie einwenden, dass ich mit zweierlei Maß messe: Wieso sollte der Akkusativ wichtiger sein als der Genitiv? Keine Sorge, das ist er nicht. Der Unterschied liegt allein in der Sprechart. Denn während man bei gesprochenen Sätzen schon einmal Neune gerade sein lassen kann, gibt es in der geschriebenen Sprache für Abkürzungen, Weglassungen und Eigeninterpretationen des Regelwerks keine Ausrede. Und auch als Urheber fehlerhafter Texte tut man sich keinen Gefallen. Schließlich verbinden wir intuitiv Kompetenz und Seriosität mit dem sprachlichen Ausdruck, und wer spendet schon Kleidung an ein Unternehmen, von dem er automatisch erwartet, dass es der Auslieferung der Spenden ähnlich viel Sorgfalt angedeihen lassen wird wie der Formulierung seiner Werbekampagne?
Als Randnotiz sei noch erwähnt, dass auch die drei Punkte (= Auslassungspunkte) am Satzende falsch gesetzt wurden: Kleben sie ohne Leerzeichen direkt am Wort, so sagen sie aus, dass das Wort selbst hier unterbrochen wurde, nicht der gesamte Satz. Für eine Unterbrechung bzw. gedachte Fortführung des Satzes hingegen müsste zwischen letztem Wort und dem ersten der drei Punkte ein Leerzeichen stehen.
Die Regel: Der Akkusativ ist der häufigste Fall im Deutschen und der sogenannte „wen-Fall”. Wenn Sie Fragen können „Wen oder was soll ich leisten?”, so müssen Sie den Akkusativ benutzen, in diesem Beispiel also „deinEN Beitrag”, denn die männliche (= DER Beitrag) Akkusativendung für auf Substantive bezogene Pronomen und Adjektive (hier: „dein”) lautet -en. Das klingt komplizierter als es ist, denn Deutsche wissen in der Regel intuitiv, welches Geschlecht das Substantiv (hier: „Beitrag”) hat, welches Verb (hier „leisten”) welchen Fall nach sich zieht und wie man diesen bildet. Bei Deutschlernern ist es schon weitaus schwieriger. Hier hilft nur viel lesen. Nur nicht unbedingt Werbetexte.